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Das Netz des
Lebens - und Sterbens |
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Aus der Entfernung gesehen, scheint
es eindeutig, wer wen auffrißt, wenn man sich das in einer
Momentaufnahme ansieht: |
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Flechte ---> Rentier ---> Wolf
Gras ---> Lemming ---> Schneeeule
Birke ---> Herbstmotte ---> Grasmücke ---> Falke
Samen ---> Ammer ---> Zwergfalke |
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Die Wirklichkeit ist jedoch eher eine
komplexe Nahrungskette, in der der Unterschied zwischen Fleischfressern
und Raubtieren undeutlich ist; die meisten Arten müssen sich
auf einen weiten Nahrungsbereich verlassen, jeweils abhängig
davon, was verfügbar ist. Die sogenannten Top-Raubtierarten,
die großen Räuber, leben von diversen Opfern, und ziehen
sich auf Insekten und Pflanzen zurück, wenn ihre Hauptnahrungsquelle
versiegt ist. |
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Große Tiere können nicht
von kleinen gefressen werden - das stellt sich aber als unwahr heraus,
wenn man sieht, wie Füchse sich von Rentierkadavern ernähren,
weil die Rentiere aus Hunger zugrunde gegangen sind, oder wenn es
sich um von der Herde im Stich gelassene Kälber handelt. |
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Lemminge und andere kleine Säugetierarten
stellen die wichtigste Nahrung für viele Raubtiere dar. Die
großen Fluktuationen der Lemmingpopulationen können für
die Raubtiere problematisch werden, weil sie als Nahrung für
die Jungen während der Jungtieraufzugssaison zur Verfügung
stehen müssen. Eine besondere Anpassung an die Lemming-Zyklen
besteht in der entsprechenden Regulierung der Anzahl von Jungtieren,
die zu ernähren sind. Wenn eine Lemming-Population nach der
Winteraufzucht unter der schützenden Schneedecke besonders
zahlreich ist, dann werden von Schneeeulen, Raubmöven und Wieseln
große Bruten oder Gelege hervorgebracht. Manche dieser Arten
suchen sogar zielgerichtet die Areale von hohen Lemming-Populationen
auf. Auch Rentiere fressen Lemming unter diesen Umständen.
So kommt es dazu, daß die Lemmingbestände durch Krankheiten,
als Opfer von Raubtieren und Überweidung drastisch verringert
werden. Im folgenden Jahr oder Jahren bringen die Lemmingräuber
keine oder nur wenige Junge zur Welt, oder verlassen die Region.
Dadurch können sich die Lemmingbestände wieder erholen. |
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Hier haben wir es mit dem Lemming-Zyklus
zu tun, der eine klassische Raubtier-Opfer-Dynamik darstellt - die
Bestände an Opfertieren nehmen zu, dadurch erhöht sich
die Jagd auf diese Tiere, was wiederum deren Bestände verringert,
und schließlich nehmen die Bestände der Räuber ab,
die Opfertiere können sich wieder erholen, der Zyklus beginnt
von neuem. Die Wirklichkeit ist selten so einfach, erleuchtet aber
die Prinzipien der Nahrungskettendynamik und die Schlüsselstellung
der Lemminge in der Arktis. Verborgen in dieser Dynamik ist eine
andere Dimension des Systems - der Zyklus der Zersetzung. |
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Die Lemminge ernähren sich von
den unteren Teilen der Gras- und Seggenstengel. Während eines
Lemming-"Hochs" sieht eine Tundrawiese aus wie eine Heuwiese
nach der Mahd, aber vor dem Einbringen des Heus. Frische Blätter
und Lemmingkot werden von Bakterien, Pilzen, Invertebraten im Boden
und Insektenlarven verarbeitet, die dann wiederum anderen Invertebraten
als Nahrung dienen. Im Abbauzyklus bedeutet das eine riesige Menge
von ausschlüpfenden Insekten, die von Käfern und Spinnen
an der Bodenoberfläche gefressen werden. Der frühsommerliche
Schwall von Schnaken (Tipuliden), Mücken und Moskitos ist die
Hauptnahrungsquelle für eine andere Gruppe von größeren,
mehr in Erscheinung tretenden Räubern - den Insektenfressern
(Insektivoren), wie z.B. Lerchen, Piepern, Ammern und Watvögeln,
die letzeren besonders in feuchteren Gebieten. Diese Vögel
sind Teil der oberhalb des Erdbodens auftretenden Nahrungskette
und fallen wieder anderen Räubern, den Schneeeulen, Falken
und Raubmöven zum Opfer. Auf diese Art und Weise verknüpfen
sich die verschiedenen Teile des Ökosystems. |
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